Kulturkampf

Über und unter der Budel

Tabori, Peymann, Hrelicka – drei Beispiele für den neuen Kulturkampf in Österreich. Ist die Wende damit perfekt?

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„Diese sogenannten Sozialisten, die schon ein halbes Jahrhundert keine Sozialisten mehr sind, sind ja die eigentlichen Totengräber dieses Österreich... Dagegen ist ja dieses katholische Gesindel geradezu unerheblich... Wenn Österreich heute ein so heruntergekommenes Volk und ein so unansehnliches durch und durch verderbtes Land ist, so verdanken wir das diesen feisten und fetten Pseudosozialisten, die mit den Nationalsozialisten gemeinsame Sache machen.“ (Thomas Bernhard: „Heldenplatz“)

„Ein Kampfum die Macht läßt sich auch als Kulturkampf führen.“ (Olto Schulmeister in der „Presse“)

Die Stichworte hießen der Reihe nach: Tabori, Peymann, Hrdlicka. Der gemeinsame Nenner heißt: Skandal. Seit einem Jahr steigt der Erregungspegel, seit einem Jahr eskaliert die Debatte von Ereiferung zu Ereiferung. Zeitungen richten der leserbriefschreibenden Volkswut immer neue Freigehege ein – dort hat sie Auslauf und darf alles auskotzen, was die Leitartikler auch denken, aber so krass denn doch nicht äußern möchten. Politiker werfen sich in die Positur von Kunstrichtern, und Parteisekretäre urteilen über Fragen der Ästhetik. Das Ausland staunt, spottet und verachtet. Der österreichische Kulturkampf tobt.

Er tobt vollkommen unabhängig von seinen jeweiligen Anlässen. Der Anlass ist einmal eine Oratoriumsinszenierung, die keiner gesehen hat, ein andermal ein Zeitungsinterview, das keiner gelesen hat, und schließlich ein Denkmal, das keiner kennt. Doch der Wut des öffentlichen Streits tut das keinen Abbruch – im Gegenteil: Die Aufregung wird umso größer, je weiter sie sich von ihren Anlässen entfernt. Wo es am Urteil gebricht, hat das Vorurteil freie Bahn – das Vorurteil gegen Juden, Ausländer und Kommunisten.

„Es geht nicht um ein Kunstwerk“, „Um künstlerische Wertungen geht es nicht“, beteuern „Presse“ und „Krone“ unisono. Und wer dem gesteuerten Leserbrief-Unflat in diesen Blättern ins Auge blickt, weiß, dass es um Kunst in der Tat nur vorwändlich geht. Es geht ja nicht wirklich um den Kunstwert einer Inszenierung in der Kollegienkirche oder eines Mahnmals gegen Krieg und Faschismus auf dem Albertinaplatz; es geht auch nicht wirklich um Herrn Peymanns gesammelte Ansichten und deren Sprachstil. All dies ist nur Anlass, Vorwand, günstige Gelegenheit, um ganz anderes auszutragen.

Auf der untersten, der grauslichsten Ebene geht’s um die günstige Gelegenheit, unter dem Deckmantel der moralischen Entrüstung ungestraft dem Hass gegen Juden, Ausländer, „Kummerln“ – und Künstler ganz allgemein – freien Lauf zu lassen. Da wird „Kirchenschändung“ gesagt (und „schweinigelnder Jude“ gemeint), da wird „Burgtheaterschändung“ gesagt (und „frecher Piefke“ gemeint), da wird „Störung der Totenruhe“ gesagt (und „kommunistischer Störenfried“ gemeint). Binnen knapp einem Jahr ist es gelungen, alle gängigen Vorurteilsstereotypen mit passenden Hassfiguren aus der Kunstszene zu besetzen und der Öffentlichkeit einzuprägen.

Auch wer die Namen Tabori, Peymann oder Hrdlicka zuvor nie gehört, nie wahrgenommen hat, weiß nun – dank Staberl und Cato, dank Chorherr und dem Brüllchor der „gesunden Volksmeinung“ –, dass er sich darunter sogenannte Künstler vorzustellen hat, will heißen: linke, jüdische, ausländische, ordinäre Glaubens-, Volks- und Staatsfeinde, an deren Präsenz in Österreich die Sozi schuld sind.

Im „Fall Tabori“ hat der Pöbel gesiegt – dank massiver Assistenz durch ordnungskatholische Salzburger Kreise. Der „Fall Peymann“ ist noch nicht ausgestanden; da lauern die Kunstfeinde auf ihre nächste Chance, nämlich die Uraufführung des Thomas-Bernhard-Stückes „Heldenplatz“ zur Säkularfeier des Burgtheaters an der Ringstraße – auch wenn der (aus Publicity- oder anderen Gründen vom Verlag geheim gehaltene) Text keinerlei Sensationen, sondern nur wohlbekannte und oft gehörte Echos früherer bernhardscher Schimpftiraden gegen Nazis, Sozis und „die geist- und kulturlose Kloake“ namens Österreich enthält.

Im „Fall Hrdlicka“ hat Helmut Zilk dem Druck des Pöbels und der Versuchung des Populismus widerstanden und fast so etwas wie Prinzipienfestigkeit in einer höchst unpopulären Streitfrage demonstriert. Hrdlickas Orpheus wird die Unterwelt betreten dürfen.

Der Kampf um die kulturelle Vorherrschaft im Lande ist demnach noch nicht endgültig entschieden. Dass es ein Kulturkampf ist, dem wir seit einem Jahr beiwohnen, daran kann es keinen Zweifel mehr geben.

Es geht hier um die Weiterführung der Waldheim-Auseinandersetzung und des „Bedenkjahr“-Streits mit anderen Mitteln. Der Kampf geht um die kulturelle Hegemonie in Österreich. Er ist ein Stellvertreterkrieg. Je mehr Konfliktthemen von der großen Koalition einmütig totschwiegen und wie auf Kommando aus der politischen Debatte herausgehalten werden, desto öfter verlagert sich die unterdrückte ideologische Auseinandersetzung in den Kulturbereich, desto vehementer und verbissener wird im Kulturkampf um Positionen gerungen.

Nicht dass alle Schwarzen und alle Roten diesen Stellvertreterkrieg mit Begeisterung führen. „Unter der Budel“ um einen entlarvenden Versprecher Erhard Buseks zu verwenden –  würden sich nicht wenige Großkoalitionäre liebend gern darauf einigen, daß man von dem anmaßenden, unbotmäßigen, aufsässigen, kritischen, unbequemen, widersprendstigen Künstlerpack keinen Muckser mehr hören möchte, daß die Künstler mit ihrer Kunst gefälligst die Freizeit verschönern sollen, dass die Kunst bitteschön politische und das heißt gesellschaftliche Abstinenz einhalten soll. „Unter der Budel“ haben Schwarze wie Rote den permanenten Ärger mit der Widerstandshaltung von Kunst und Künstlern zweifellos herzlich satt. Das mag zwar „sicher nicht ganz astrein“ (wieder ein Busek-Wort) sein, ist aber eine keineswegs überraschende Erscheinungsform großkoalitionärer Machtverfehlung, die sich von unberechenbaren Künstlern die sich von unberechenbaren Künstlern nicht mehr gerne stören lassen möchte.

Dennoch hat in allen drei Fällen – beim Salzburger „Buch mit sieben Siegeln“, bei Peymanns „Zeit“-Interview, bei Hrdlickas antifaschistischem Mahnmal – die Rechte die Attacke geführt („die Rechte“ als Kürzel für ein allmählich Gestalt gewinnendes Konglomerat von Ordnungskatholiken, Wartkonservativen, Antisemiten, Pfeifke- und Kommunistenhassern, „jetzt erst recht“-Patrioten, Anti-Antifaschisten, Reaktionären nebst vielen ehrbaren Leuten, die auf den Radikalitätsanspruch von Kunst mit Angst und Abwehr reagieren). Die Rechte ist in der Offensive, die Linke eindeutig in der Defensive.

Die ÖVP mag unfähig sein, die von Alois Mock neuerdings propagierte „andere Kulturpolitik“ auch nur zu formulieren. Sie mag außerstande sein, die kulturpolitischen Ziele anders als durch Intoleranz und Verbotspolitik, durch Freiheitsbeschränkung, den Ruf nach Sitte und Anstand und die Forderung nach Maßregelung und Ablösung unliebsamer Künstler auszudrücken. Mag sein, dass die ÖVP-Kulturpolitiker nur wissen, was sie nicht wollen, aber nicht wissen, was sie wollen.

Die SPÖ-Kulturpolitiker hingegen wissen nicht einmal, was sie nicht wollen. Sie überlassen es einer Hilde Hawlicek, sprach- und tatenlos zuzusehen, wie der Freiraum der Kunst immer mehr eingeschränkt wird, wie ihre Kraft und ihr Wille, Gegenmodelle zum Bestehenden zu entwickeln und zu behaupten, geschwächt, wie ihre innovative, verändernde Rolle in der Gesellschaft ökonomisch unterhöhlt wird.

Sie sind unfähig, dem künstlerischen Bankrott der Salzburger Festspiele, die in einer nicht enden wollenden karajanischen Agonie liegen, strukturell und konzeptiv entgegenzuarbeiten. Sie sind außerstande, das Problem Messepalast großzügig und tatkräftig zu lösen. Sie sind nicht in der Lage, für den geldverschlingenden Moloch „Bundestheater“ eine kulturpolitische Legitimation zu formulieren.

Beispiel Salzburger Festspiele: Es waren sozialistische Kulturminister von Zilk über Moritz bis Hawlicek, die Österreichs Parade-Festival Schritt für Schritt der Despotie des Tycoons Karajan und den Wirtschaftsinteressen seines Musik-Imperiums und den damit verfilzten Agenturen, Plattenkonzernen und Verwertungsfirmen ausgeliefert haben. Sie ließen zu, dass Karajan kraft seiner ins Direktorium berufenen Günstlinge den Kurs der Festspiele über seinen Tod hinaus bestimmen kann – den Kurs in Richtung prunkvoller und luxuriöser Versteinerung, ohne innovative Regisseure, ohne neue Dirigenten, ohne riskante Interpreten, ohne die geringste Abweichung vom Nummer-sicher-Spielplan.

Der Generalsekretär Willnauer schnorrt bereits Sponsorengelder – nicht etwa für eine Risikoproduktion, sondern für einen neuen „Jedermann“ in der Regie von August Everding. Wenn dadurch der künstlerische Aufbruch der Festspiele in die neunziger Jahre signalisiert werden soll, dann muss man sich wirklich nicht mehr wundern, warum ein Patrice Chéreau, ein Peter Stein, ein Luc Bondy von einer Arbeit in Salzburg nichts wissen wollen.

Die SPÖ-Verantwortlichen haben überdies verabsäumt, Karajans trostloses Direktorium wenigstens via Intendantenprinzip zu neutralisieren. Sie haben keinerlei Konzept für eine Reform der Festspiele ohne und nach Karajan.

Beispiel Bundestheater: Für diesen Flugzeugträger österreichischer Hochkultur haben die SPÖ-Verantwortlichen keinerlei Richtungsvorschläge anzubieten außer der fixen Idee, dass sich angekündigte Einsparungen in der Öffentlichkeit doch immer günstig machen und man den Leuten doch weismachen könnte, Fusionierungen würden sparen helfen.

Weil man für die beiden Sprechbühnen keine Perspektive (dafür aber umso mehr Schiss vor Peymanns Unberechenbarkeit) hat, suchte man Entlastung an der Opernfront. Fusionieren wir also die Opernhäuser unter Waechter und Holender! Dass Holenders unsaubere Gangart beim Wechsel vom Sängeragenten zum Opernmanager auf Protest in der Öffentlichkeit stoßen könnte, hat die Skandaldickhäuter in der SPÖ so überrascht, dass es ihnen seit Wochen nicht nur die Rede, sondern auch die Handlungsfähigkeit verschlägt.

Dabei lässt die schlecht durchdachte, brutal und überstürzt durchgeführte und zutiefst problematische Preisgabe der fusionierten Opernhäuser an die Innovationsgegner und Ensemblenostalgiker Waechter & Holender im Grunde nur eine einzige, dafür aber höchst alarmierende Lesart zu: Die große Koalition – dieser Anschein drängt sich auf – hat die Bundestheater unter sich aufgeteilt: in eine schwarze und eine rote Einflusssphäre (wohl um den Preis gegenseitiger Nichteinmischung).

Der reformatorische (auch: publikumsverändernde) Spielraum an den Sprechbühnen wird von den Regierungssozialisten erkauft mit der kulturpolitischen Auslieferung der Musikbühnen an die reaktionären Sehnsüchte der Opernklientel des konservativen Koalitionspartners.

Wie gesagt: Der Verdacht drängt sich auf, dass sich hier ein schwarz-roter Kuhhandel vollzieht, der dem kulturpolitischen Nachteil der SPÖ nicht einmal voll bewusst geworden sein muss. Die Zeit wird weisen, ob unsere Lesart stimmt.

Aus dem Archiv (profil 31/1988)