Martyna Linartas

Vertreiben Vermögenssteuern Reiche, Frau Linartas? „Quatsch mit Soße!“

Wir leben in einer Erbengesellschaft. Das Sprichwort „Jeder ist seines Glückes Schmied“ sei nur ein Märchen, schreibt die deutsche Politologin Martyna Linartas in ihrem neuen Buch „Unverdiente Ungleichheit“. Mit profil spricht sie über das, worüber man eigentlich nicht spricht: Geld.

Drucken

Schriftgröße

Frau Linartas, Sie schreiben in Ihrem Buch „Unverdiente Ungleichheit“, dass eine Leistungsgesellschaft nur ein Märchen ist und im echten Leben nicht wirklich funktioniert. Warum sehen Sie das so?

Martyna Linartas

Da gibt es verschiedene Möglichkeiten, sich der Frage zu nähern. Das eine ist die soziale Mobilität: Kommt es wirklich auf die Leistung an oder auf die soziale Herkunft, auf die Familie, aus der wir stammen? Wer schafft es an die Uni? Kommt man aus einem Akademikerhaushalt? Das Elternhaus macht einen krassen Unterschied. Und was auch wichtig ist: Der größte Erklärungsfaktor dafür, wie viel Vermögen man im Lauf seines Lebens aufbaut, ist nicht die eigene Leistung, sondern das, was man durch Schenkung und Erben erhält. Tendenz steigend.

Warum haben Sie sich entschieden, zu diesem Thema zu forschen?

Linartas

Weil Ungleichheit eines der größten Probleme der Gegenwart und Zukunft ist. Wir haben sehr viel Forschung, die uns zeigt, dass Ungleichheit gefährlich ist. Sei es mit Blick auf das Wohlbefinden, das Glücksempfinden, auf die Kriminalität oder die Gesundheit. Mich als Politikwissenschafterin, aber auch als Mensch, treiben noch zwei Dinge an: Das eine ist die Demokratie, die zunehmend unter Druck gerät; das andere ist das Klima. In beiden Fällen spielt Ungleichheit eine Rolle. Ich bin Migrantin und kam als kleines Kind von Polen nach Deutschland. Ich habe erlebt, was es heißt, in Armut aufzuwachsen. Auf der anderen Seite habe ich aber auch eine reiche und mächtige Familie in Mexiko, mein Onkel war stellvertretender Finanzminister dort. Ich habe also in Deutschland als Migrantenkind in sehr bescheidenen Verhältnissen gelebt. Ich weiß aber auch, was es heißt, wenn man sich in einer reichen, mächtigen Familie bewegt – und wie diese Welt des Überreichtums aussieht.

Sie haben es ja trotzdem „geschafft“ aufzusteigen, zu studieren und erfolgreich zu sein.

Linartas

Das hatte bei mir zwar mit Fleiß zu tun, aber auch mit den Strukturen eines Wohlfahrtsstaates, der derzeit zunehmend unter Druck gerät. Ganz entscheidend war: viel Glück und viel Solidarität, die mir immer wieder zuteilwurden. Wäre ich im Lauf des Lebens nicht an entscheidenden Stellen gewissen Kindergärtnerinnen, Lehrern, Professorinnen begegnet, die mich unterstützt haben, dann wüsste ich nicht, wo ich heute stünde.

Ist Erfolg also Zufall oder doch Fleiß?

Linartas

Es spielen sehr, sehr viele Faktoren mit rein. Auf einige hat man Einfluss, auf viele nicht. Es kommt auch stark darauf an, in welchem Land man geboren wird. Im Globalen Norden, in einem europäischen Land? Deutschland ist da besser aufgestellt als beispielsweise Polen. Meine Eltern kamen mit dem Versprechen, dass mein Bruder und ich es eines Tages besser haben würden. Über dieses Glück, in welchem Land man geboren wird, sprechen wir zum Beispiel sehr wenig.

Der größte Erklärungsfaktor dafür, wie viel Vermögen man im Lauf seines Lebens aufbaut, ist nicht die eigene Leistung, sondern das, was man durch Schenkung und Erben erhält. Tendenz steigend.
 

Martyna Linartas

Natalia Anders

Natalia Anders

ist seit Juni 2023 Teil des Online-Ressorts und für Social Media zuständig.