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profil 31/1988: Der gemeinsame Nenner hieß und heißt Skandal

Sigrid Löfflers wegweisender Text über die Kulturkämpfe um Theatermacher Claus Peymann, Bildhauer Alfred Hrdlicka und Regisseur George Tabori.

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Wildbewegte Zeiten, von allen Seiten her geifernd kommentiert: Die „Wut des öffentlichen Streits“ flutet sämtliche Sphären von Gesellschaft und Politik, der „Erregungspegel“ steigt – vielmehr: fällt – ins Bodenlos-Gruselige. „Die Aufregung wird umso größer, je weiter sie sich von ihren Anlässen entfernt“, ist da in profil zu lesen: „Auf der untersten, der grauslichsten Ebene geht’s um die günstige Gelegenheit, unter dem Deckmantel der moralischen Entrüstung ungestraft dem Hass gegen Juden, Ausländer, Kummerln – und Künstler ganz allgemein – freien Lauf zu lassen.“

Voranstehende Sätze sind, notabene, unter der Überschrift „Über und unter der Budel“ in der profil-Ausgabe vom 1. August 1988 zu lesen. Für die Jüngeren: 1988, das war die Frühzeit des Personal Computers, die Epoche der Analogfotografie, der Festnetztelefonie und der Schreibmaschinen; seit Jänner 1987 (und noch bis Dezember 1990) war in Österreich die schwarz-rote Regierung Vranitzky II mit Vizekanzler Alois Mock im Amt, tief im dunklen Schatten der Waldheim-Jahre und Jörg Haiders Aufstieg zum Obmann der Freiheitlichen Partei Österreichs. Das World Wide Web mitsamt seinen Hass-und-Niedertracht-Schauerschächten namens Social Media war noch nicht einmal zu erahnen, geschweige denn in halsbrecherischen Fieberträumen zu imaginieren. Die gute alte Zeit also? Mitnichten.

„Seit einem Jahr eskaliert die Debatte von Ereiferung zu Ereiferung“, notierte die Kulturredakteurin Sigrid Löffler in der profil-Ausgabe von Anfang August. Der Grund der prädigitalen Dauererregung: „Die Stichworte heißen der Reihe nach: Tabori. Peymann. Hrdlicka. Der gemeinsame Nenner heißt: Skandal.“

George Taboris Inszenierung von Franz Schmidts „Das Buch mit sieben Siegeln“ war im Vorjahr nach der ersten Nacht der Salzburger Festspiele verboten worden. Am 4. November 1988 wurde Thomas Bernhards „Heldenplatz“ in der Regie von Claus Peymann im Wiener Burgtheater uraufgeführt, am 24. November das Mahnmal gegen Krieg und Faschismus des Bildhauers Alfred Hrdlicka am Albertinaplatz in Wiens Innenstadt aufgestellt. Glasklar Löfflers Betrachtung: „Je mehr Konfliktthemen von der großen Koalition einmütig totgeschwiegen und wie auf Kommando aus der politischen Debatte herausgehalten werden, desto öfter verlagert sich die unterdrückte ideologische Auseinandersetzung in den Kulturbereich, desto vehementer und verbissener wird im Kulturkampf um Positionen gerungen.“

Böse neue Zeit: Vehement und verbissen wird im Netz längst aus nichtigem beziehungsweise schlicht wutgetriebenem Anlass gerungen, von Schweigen keine Spur. Stattdessen: „der Brüllchor der ,gesunden Volksmeinung‘“, wie Löffler, heute 82, bereits vor knapp 40 Jahren schrieb.

Ebenfalls für die Jüngeren: Der Autor dieser Zeilen erinnert sich, wie er damals, um das Jahr 1988, eines Nachts in der Marc-Aurel-Straße in Wiens Innenstadt stand, den Kopf in den Nacken gelegt, zu den erleuchteten Fenstern hinaufstarrend, hinter denen die profil-Redaktion damals ihrer Arbeit nachging. Irgendwo, dachte er, musste Löfflers Zimmer sein, in dem unter Schreibmaschinengeklapper (oder war’s doch schon eine prähistorische Computertastatur?) gerade Großes und Schwergewichtiges passierte. Am Montag, mit Erscheinen des neuen profil, kam’s damals raus.

Wolfgang Paterno

Wolfgang Paterno

ist seit 2005 profil-Redakteur.